In bewährter Weise finden vor den 4 Birnau-Konzerten jeweils um 16 Uhr Einführungsvorträge durch den musikalischen Leiter im Kirchenraum statt, die jeweils 30 Minuten dauern.
Für Karteninhaber sind die Konzerteinführungen kostenlos.
Giuseppe Verdi | Messa da Requiem
Susanne Winter, SOPRAN
Regine Jurda, ALT
Thomas Heyer, TENOR
Raphael Sigling, BASS
Mitglieder der Arcis-Vocalisten München
Südwestdeutsche Philharmonie Konstanz
>> Karten hier erhältlich >> und bei sämtlichen RESERVIX-Vorverkaufsstellen [114 KB]
Joseph Haydn | Theresienmesse Hob. XXII:12
Symphonie Nr. 45 „Abschieds-Symphonie“
Lilli Jordan, SOPRAN
Diana Schmid, ALT
Magnus Dietrich, TENOR
Micha Matthäus, BASS
Barockorchester L‘arpa festante auf historischen Instrumenten
Joseph Haydns "Theresienmesse"
In Diensten der Fürsten Esterhazy
Während Wolfgang Amadeus Mozart, der zweite der sogenannten "Wiener Klassiker", zwar noch sein Berufsleben in einem festen Dienstverhältnis begann, nämlich beim Salzburger Fürsterzbischof Colloredo, was er aber im Alter von 26 Jahren mit großem Knall löste, um fortan mit wechselndem Geschäftsgang als freier Komponist in Wien bis zu seinem Tod 1791 zu leben, während Ludwig van Beethoven, der dritte "Klassiker" durch fürstliche Gönner und Verlagserlöse schon ein Dasein als freier und ungebundene Künstler riskieren konnte, war Joseph Haydn, der erste in der Reihe, noch in einem langjährigen "ordentlichen" Dienstverhältnis.
Als 1790 sein Dienstherr Fürst Nikolaus von Esterhazy (mit dem Beinamen "der Prachtliebende") verstarb, hatte Haydn, damals 58 Jahre alt, ihm rund 30 Jahre gedient. Nachfolger Anton Paul Esterhazy legte weniger Wert auf gute und opulente Musik am Hof, löste die Kapelle auf und behielt nur zwei Musiker in Amt und Sold - den Konzertmeister Tomasini und seinen Kapellmeister Haydn. Allerdings war das nur eine formale Verpflichtung, tatsächlich brauchten sie nichts zu tun, Haydn verlegte seinen Wohnsitz nach Wien und fand Zeit für seine ausgedehnten Reisen nach England, für die unter anderem die späten "Londoner Symphonien" entstanden. Anton Paul lebte nur bis 1794, dessen Nachfolger Nikolaus II. betraute Haydn mit der Neuorganisation der Hofkapelle, was Haydn nach seiner Rückkehr aus London im Spätsommer 1795 anpackte. Nikolaus II. gab seine Residenz Esterhaza unweit des Neusiedler Sees, wo Haydn noch gewirkt hatte, auf und verlegte seinen Hof nach Eisenstadt, deshalb wechselte Haydn in seinen letzten Lebensjahren seinen Wohnort immer wieder von Wien nach Eisenstadt.
Späte Messen
Außer der Neugestaltung der Hofmusik bestand Joseph Haydns zentrale Verpflichtung in jenen späten Jahren darin, zum Namenstag der Gattin des Fürsten - Maria Josepha Hermenegilda - eine Messe zu komponieren und deren Aufführung selbst zu leiten. Der Rufname der Fürstin, Maria, führte dazu, dass diese Messe in der Regel an dem Sonntag erklang, der dem Fest Mariä Geburt am 8.September folgte. Diese musikalisch herausragenden Gottesdienste fanden entweder in der Stadtpfarrkirche oder der Bergkirche Eisenstadt statt und avancierten zu bedeutenden gesellschaftlichen Ereignissen.
Nach der "Mariazeller Messe" von 1782 hatte Haydn 14 Jahre lang keine Vertonung des Ordinarium Missae mehr geschaffen, indes hatte er in Kammermusik und Symphonik seinen Stil weiter perfektioniert, vollkommene formale Souveränität, ein meisterhafter und differenzierter Instrumentalsatz, reiche liedhafte Melodik und Individualisierung des einzelnen Werkes sind Merkmale dafür. Alles das geht in sein kirchenmusikalisches Alterswerk ein, das neben den bedeutenden Oratorien "Die Schöpfung" von 1798 und "Die Jahreszeiten" von 1801 von den sechs großen Orchestermessen markiert wird, der "Paukenmesse" von 1796, der "Heiligmesse" (1797),der "Nelsonmesse" von 1798, der "Theresienmesse" (1799), der "Schöpfungsmesse" (1801) und der "Harmoniemesse" von 1802.
Die 14 Jahre kirchenmusikalischer Enthaltsamkeit hatten sicherlich auch Gründe, die außerhalb von Haydns Person und Entwicklung lagen - der österreichische Kaiser Joseph II. hatte in den Jahren nach Übernahme der Alleinregierung 1780 allerlei Veränderungen angestoßen, insbesondere zu Religionsfreiheit und zum kirchlichen Leben. Die "Josephinischen Reformen" suchten in aufklärerischem Geist die Liturgie von Prunk, Äußerlichkeiten und als unwesentlich Erachtetem zu befreien. Ein aufs Wesentliche beschränkter Gottesdienst schnitt auch die Rolle der Musik zurück, zumal opulenter orchesterbegleiteter Messen. Die Musikpflege in Kirchen und Klöstern ging spürbar zurück, erst der Tod Josephs II. 1790 führte wieder zu einer gegenteiligen Entwicklung.
Warum "Theresienmesse"?
In den Quellen aus Haydns Zeit ist von der insgesamt zwölften Messe In B-Dur nur der Titel "Missa" erhalten, dem Bedürfnis, den großen späten Haydn-Messen charakterisierende Beinamen zu geben (da vier von sechs in B-Dur stehen, führt die Angabe der Tonart nicht zur Differenzierung...), trägt bald (ab 1815 verbürgt) die Bezeichnung "Theresienmesse" Rechnung. Dabei bleibt der Grund der Benennung unklar, man vermutete, das komme von einer Zueignung an Marie Therese, die Gattin Kaiser Joseph II. (und in der Tat soll die Messe bereits im Mai 1800,kurz nach Entstehung, in Wien erklungen sein). Aber eben - die Messe ist unstreitig für Eisenstadt und die Gattin des Fürsten Esterhazy geschrieben und im Festgottesdienst am 8. September 1799 erstmals musiziert worden... Da wir wissen, dass Haydn für eine solche Arbeit etwa drei Monate veranschlagte, nimmt man als Entstehungszeit Juni-September 1799 an.
Ein auffälliges Charakteristikum dieser Messe ist die bescheidene Orchestrierung, so fehlen Flöten und Oboen, der Part der Klarinetten ist wenig von Kantabilität geprägt, eher trompetenartig. Auch eine Fagottstimme fehlt in der Partitur, allerdings ist ein Part im ältesten erhaltenen Aufführungsmaterial enthalten - vielleicht überließ Haydn seinem Notenkopisten wie selbstverständlich das Ausarbeiten der Stimme. Zwar gibt es zwei Trompeten und Pauken, aber Hörner sind nicht besetzt. Womöglich trägt Haydn mit der kompakten Besetzung den reduzierten Möglichkeiten der Hofkapelle Fürst Nikolaus II. Esterhazy zu Beginn ihrer Restrukturierung Rechnung - hatte es 1790 noch mehr als 40 Musiker gegeben (darunter etwa 16 Sänger),waren es 1796 (für jenes Jahr gibt es Zahlen) nur noch 6 Sänger und 10 Instrumentalisten.
"Heiter, ausgesöhnt, vertrauend"
In Haydns Kirchenmusik walten eine undogmatische Frömmigkeit, sinnlicher Genuss, ausgekostete Melodik, helle Klangfarben, Leichtigkeit und Witz. Man hat das oft als zu leichtgewichtig, den bedeutenden kirchlichen Texten unangemessen und zu weltlich kritisiert, gerade im Zeitalter des Cäcilianismus im fortgeschrittenen 19. Jahrhundert lehnte man Haydn häufig ab. Dabei war er nicht nur in seiner Musik ein gläubiger christlicher Mensch, häufig finden sich Bemerkungen religiösen Gehalts in seinen Partituren (auch weltlichen) - etwa "In nomine Domini" oder "Laus Deus".
So ist Haydns Kirchenmusik ein Stück sinnenfrohes, lebensbejahendes, die Schöpfung und den Schöpfer überschwänglich feierndes Christentum.
Prof. Thomas Gropper
"CHORBEGEGNUNG"
Kammerchor Chur - Birnauer Kantorei
Johannes Brahms | Ein Deutsches Requiem (Londoner Fassung mit Klavier)
& Chorwerke (Marienlieder op. 22)
Judith Spiesser, SOPRAN
Andreas Burkhart, BARITON
Mirjam von Kirschten & Heiko Stralendorff, FLÜGEL
zum DEUTSCHEN REQUIEM von Johannes Brahms
Mit dem DEUTSCHEN REQUIEM op. 45 liegt uns die größte und umfangreichste Komposition von Johannes Brahms vor, sowohl was seine Chormusik als auch seine Symphonik betrifft - er zeigte anders als mancher Kollege nicht den Drang, in den späten Jahren seines Schaffens die Dimensionen auszuweiten, sondern er legte bereits in jüngeren Jahren ein opus summum vor - der Uraufführung 1868 im 35.Lebensjahr von Brahms gehen 12 Jahre der Beschäftigung und Arbeit voraus.
Einflüsse und Vorarbeiten.
Bis heute ist in der Brahms-Forschung die Frage offen, ob die erste Idee, ein „deutsches Requiem" zu schreiben, also eine Totenmesse mit deutschem Texten und eigener Dramaturgie, nicht eine übersetzte lateinische „Missa pro defunctis" , vielleicht durch das „Projektbuch" von Robert Schumann in Brahms Bewusstsein trat - dieser las die Hinterlassenschaft des gerade verstorbenen Freundes und Förderers 1856, darin ist ein solcher Plan formuliert, Brahms vermochte später nicht mehr zu sagen, ob das der Ur-Impuls war. Die älteste musikalische Schicht des DEUTSCHEN REQUIEMS ist der 2. Satz „Denn alles Fleisch, es ist wie Gras", bereits 1875-59 schuf Brahms diese Musik und dachte sie ursprünglich als Teil einer geplanten Symphonie in d-moll, die dann nach mancher Umarbeitung zum 1. Klavierkonzert op.15 wurde. Im Herbst 1861 hatte der Plan soweit Gestalt gewonnen, dass Brahms die Textfassung einer auf vier Sätze konzipierten Kantate zusammengestellt hatte, übrigens auf der Rückseite eines Notenblattes aus seinem Liederzyklus „Romanzen aus Tiecks Magelone" notiert, den 1. Satz davon hat er offenbar auch komponiert, die Arbeit ist indes nicht erhalten. Im Februar 1865 trat das Ereignis ein, das der Arbeit dann endgültig die entscheidende Wendung gab: Brahms, seit 1863 nach Wien übergesiedelt, wurde durch ein alarmierendes Telegramm seines Bruders Fritz zu einer Blitzreise in seine Heimatstadt Hamburg veranlasst - die Mutter lag im Sterben. Brahms kam zu spät, er konnte nur noch an ihr Totenbett treten, obwohl äußerlich gefasst und in stetem Konzertleben begriffen (er reiste kurz darauf nach Mannheim, zu einer Tournee durch die Schweiz, nach Karlsruhe, Detmold und Oldenburg), reifte in ihm die Gestaltung des DEUTSCHEN REQUIEMS auch gerade als Nachruf auf seine Mutter, die er sehr liebte.
Ausarbeitung und Uraufführung
Hatte also der Tod Schumanns 1856 einen ersten Gedanken an das Werk geweckt, so verdichtete der Tod der Mutter 1865 die schemenhafte Beschäftigung damit, während und nach den erwähnten Konzertreisen zog sich Brahms immer wieder in längeren Arbeitsphasen ins Haus seines Freundes, des Photographen und Kupferstechers Julius Allgeyer in Karlsruhe zurück, verbrachte den Sommer 1866 am Zürichberg bei dem Verleger Rieter-Biedermann und vollendete im August das Werk bis auf den erst später hinzugefügten 5. Satz, das Sopransolo „Ihr habt nun Traurigkeit". Den Winter 1866/67 verbrachte er nach anderthalbjähriger Abwesenheit wieder in Wien, hier korrigierte und feilte er. Am 1. Dezember 1867 wurden die ersten drei Sätze des DEUTSCHEN REQUIEMS in einem Konzert der Gesellschaft der Musikfreunde unter der Leitung Johann von Herbecks in Wien aufgeführt, es war kein spürbarer Erfolg, unter anderem wurde der signifikante Orgelpunkt auf dem Ton d am Ende des 3. Satzes als zu laut und massiv empfunden, Brahms änderte die Stelle daraufhin.
Am Karfreitag des Jahres 1868, dem 10. April, kam dann im Bremer Dom vor 2500 Hörern das Werk zur eigentlichen Uraufführung, Brahms dirigierte selbst. Es fehlte noch der 5. Satz, nach dem 4. Satz „Wie lieblich sind deine Wohnungen" erklangen die Sopran-Arie „Ich weiß, daß mein Erlöser lebt" aus Händels „Messias" und Schumanns „Abendlied" mit Joseph Joachim als Sologeiger. Erst im Monat darauf formte Brahms den 5. Satz und gab dem DEUTSCHEN REQUIEM damit seine endgültige Gestalt, so kam es am 18. Februar 1869 im Gewandhaus Leipzig unter Carl Reinecke erstmals zu Gehör, im gleichen Jahr lassen sich in Deutschland 20 Aufführungen nachweisen, bis 1875 verbreitete sich das Werk über London, St. Petersburg und Paris, im deutschen Bereich eher über den protestantischen Norden als den katholisch geprägten Süden.
Brahms selbst fertigte dann bald eine Fassung mit Klavierbegleitung zu vier Händen an, die 1871 erstmals in London erklang und deshalb seither „Londoner Fassung" heißt - diese erklingt heute. Gründe dafür dürften der Wunsch nach größerer Verbreitung gewesen sein, der ja der gewaltige und deshalb auch teure Orchesterapparat zunächst einmal bei der Kalkulation eines Konzertes entgegenstand, zum zweiten der Drang, das Werk dadurch auch kleiner besetzten Ensembles zugänglich zu machen - ein Laienchor braucht mindestens eine Größe von 60 bis 70 Singenden, um sich gegen den Orchesterblock klanglich durchsetzen zu können. Ein Kammerchor muss zu der transparenteren Klavierfassung greifen. Für Brahms war das eine zwiespältige Sache, er machte es auch deswegen selbst, damit es in seinem Sinn geschah: „Ich habe mich der edlen Beschäftigung hingegeben, mein unsterbliches Werk auch für die vierhändige Seele genießbar zu machen. Jetzt kann´s nicht untergehen."
Alter Ritus, neue Akzente
In für Brahms typischer Weise steht das DEUTSCHE REQUIEM vor uns in einer wohl austarierten Balance von gründlich studierter, zugleich lebendiger Tradition - man denke an die regelstrengen Fugen, Choralflächen, Händel-Anklänge oder Renaissance-Elemente - und neuen Ideen, Gedanken und harmonischen Welten. Brahms war nie ein Bilderstürmer, der Ererbtes einfach zurückließ oder übersprang, er komponierte aus einem bewussten Historismus heraus mit geschichtlich geweitetem Bewusstsein. Dennoch bleibt er nicht im Epigonentum, sondern setzt darauf seine ins Neue führenden Schritte.
Schon die Art der Textgestaltung zeigt dies auf - Mozart, Cherubini, Berlioz, Verdi, Faure und viele andere vertonten liturgisch korrekt den Text der lateinischen Totenmesse und krönten damit eine jahrhundertelange Tradition. Brahms ging einen anderen Weg, er stellte die Texte aus der Luther-Übersetzung der Bibel selbst zusammen, kombinierte (man mag sagen „komponierte") weit auseinanderliegende Textquellen mit überschauender theologischer Kenntnis, bezog dabei sowohl das Alte wie das Neue Testament, die Psalmen, aber auch apokryphe Texte wie Jesus Sirach und die Weisheit Salomos ein und gelangte so zu einer neuartigen inhaltlichen Ausrichtung und spirituellen Tendenz. Nebenbei: man bedenke, dass der so souverän disponierende Komponist zum Zeitpunkt der Arbeit jünger war als etwa Mozart bei seinem Requiem. Steht in der lateinischen „Missa pro defuntis" mit der Fürbitte für den Frieden der Toten, der Schilderung der Schrecken des Jüngsten Gerichts (im „Dies irae") und der Bitte um Schonung vor der ewigen Verdammnis (im „Libera me") die Wendung an das JENSEITS im Zentrum, geht es Brahms um das DIESSEITS, die (Über-)Lebenden. Dafür findet er Trostworte, die mit dem Gedanken an Leid und Tod versöhnen können; jeder der sieben Sätze endet hoffnungsvoll und verheißend, der rächende, strafende Richtergott kommt nicht vor.
Dies korrespondiert mit der Haltung nach der Mitte des 19.Jahrhunderts, einer freieren Religiosität, kirchlichen Dogmen entwachsen, beseelt vom Ideal der Humanität. Werner Oehlmann resümiert: „eine menschliche, romantisch-erlebnishafte Auseinandersetzung mit der Tragik des Todes, eine Gegenüberstellung von Vergänglichkeit und Ewigkeitshoffnung, von Trauer und Trost nach frei gewählten Formen der Bibel in Form einer Chorkantate."
(M)ein Deutsches Requiem
Denkt man Oehlmanns Formbezeichnung der „Chorkantate" nach, so ist klar, dass es sich beim DEUTSCHEN REQUIEM nicht im strengeren Sinne um ein Oratorium handelt, es fehlt dafür ein dramatischer Handlungsfaden, es ist trotz seiner Größe ein kontemplatives Werk, eine musikalische Predigt einer bestimmten Geisteshaltung.
Diese so individuelle Werkgestalt, gewachsen aus sehr persönlichem Textentwurf, evozierte neben Begeisterung mitunter auch Verwunderung und Enttäuschung. So vermisst Carl Reinthaler, als Organist am Bremer Dom und Freund von Brahms in die Vorbereitungen der Uraufführung 1868 involviert „für das christliche Bewusstsein der Erlösungstod des Herrn". Sehen wir genau hin, so fehlt nicht nur Jesu Passion, Jesus kommt im Text überhaupt nicht vor. Brahms tat das offenbar bewusst: „habe mit allen Wissen und Willen Stellen wie Joh.Ev.Kap 3 Vers 16 (Also hat Gott die Welt geliebt) gemieden". Es geht also nicht nur um eine über-konfessionelle Aussage, sondern eine, die sogar über den Religionen steht. An Reinthaler schreibt Brahms (09.10.1867): „Was den Text betrifft, so will ich bekennen, daß ich recht gern auch das „deutsch" wegließe und einfach den Menschen setzte."
Hier geht eine Entwicklung weiter, die sich in Mozarts Requiem schon andeutet, in Beethovens „Missa solemnis" und (zeitlich kurz nach Brahms REQUIEM) in Verdis „Messa da Requiem" weitergeht: die Musik emanzipiert sich vom kirchlichen Ritus, löst sich aus dienender Funktion, die Komponisten artikulieren durch und mit geistlichen Text persönliche Gedanken und Aussagen. So wird auch das Detail bedeutsam, dass Brahms den Titel „EIN" DEUTSCHES REQUIEM wählt (nicht „DAS" DEUTSCHE REQUIEM). Es ist nicht die einzige Wahrheit, die da ausgesagt ist, es ist seine individuelle Konzeption, auch ein anderes „deutsches Requiem" mag denkbar sein ...
Im Februar 1867 heißt es bei Brahms mit Rückgriff auf den Tod der Mutter zwei Jahre zuvor: „Ich habe nun meine Trauer niedergelegt und sie ist mir genommen; ich habe meine Trauermusik vollendet als Seligpreisung der Leidtragenden."
Die Idee, ein deutschsprachiges Requiem zu schreiben, geht auf Heinrich Schütz zurück, 1636 entstanden die „Musikalischen Exequien", eine „teutsche Begräbnis-Missa" für den Fürsten Heinrich Posthumus von Reuß, der vor seinem Tode die Texte mit Schütz auswählte, auf dem Sarg anbringen ließ und sich seine Toten-Messe auch zu Gehör bringen ließ. Die Texte „Selig sind die Toten" und „Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand" finden sich bei Schütz wie auch bei Brahms. Auch Schuberts Deutsche Messe kann als ein Vorbote des Brahms-REQUIEMS gesehen werden, bedeutet doch auch sie den Versuch, einen lateinischen liturgischen Zentraltext ins Deutsche zu übertragen und fasslicher zu machen. Das wesensverwandteste Werk der Literatur ist indes die Bach-Kantate BWV 106 „Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit" (Actus tragicus), übrigens ein Lieblingswerk von Brahms Freund, dem Sänger Julius Stockhausen (auch der Baritonsolist der Uraufführung des DEUTSCHEN REQUIEMS). Auch Bach hatte die Texte selbst aus der Bibel und alten Kirchenliedern zusammengefügt und in eine strenge innere Symmetrie gebracht, auch ihm ging es um eine Versöhnung mit dem Tod und eine frohe Verheißung. Im Unterschied zu all diesen Werken gibt es bei Brahms aber eben nicht die Instanz eines Erlösers.
Symmetrien und Entwicklungen
Wir sahen, dass das DEUTSCHE REQUIEM am Übergang von der Jugend- zur Reifezeit von Brahms entstand und ihm die Konzeption allmählich anwuchs - von der Idee zu einem Satz (dem 2. Satz der endgültigen Gestaltung) über eine viersätzige Kantate, die sechssätzige Form der Uraufführung in Bremen hin zur Anlage in sieben Sätzen, die durch innere Bezüge in Balance gehalten werden und ein stimmiges Gleichgewicht besitzen: die Sätze 1 und 7 korrespondieren zunächst in ihrer textlichen Aussage als Seligpreisungen, „Selig sind, die da Leid tragen" hebt der Eingangssatz an, „Selig sind die Toten" heißt es zu Beginn des Finalsatzes, musikalisch vertieft Brahms diese Bezüge dadurch, dass er am Ende des 7. Satzes in die Musik überleitet, die den 1. Satz abgeschlossen hatte; die Sätze 2 und 6 mahnen rigoros die Endlichkeit des Menschen an, jeweils zu Beginn wird die Nichtigkeit des Irdischen beschworen ("Denn alles Fleisch, es ist wie Gras" bzw. „Denn wir haben hie keine bleibende Statt"), in beiden Fällen schließt sich ein Fingerzeig auf die jenseitige Welt an: „so seid nun geduldig, lieben Brüder" bzw. „Siehe ich sage euch ein Geheimnis". Beide Sätze gehen dann in einem dritten Schritt voll Hoffnung und Zuversicht in einem hymnisch-kraftvollen Schluss auf: „Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit" mit der Aussicht auf „ewige Freude" bzw. „Der Tod ist verschlungen in den Sieg" mit gewaltiger Doppelfuge Händelscher Stilistik „Der Tod ist verschlungen"; der 3. und 5. Satz führen von der Klage zur Befreiung, durch ihre Gestaltung als Soli noch persönlicher gehalten: „Herr, lehre doch mich, daß ein Ende mit mir haben muß" (Bariton) bzw. „Ihr habt nun Traurigkeit" (Sopran) gehen über in die Fuge „Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand" bzw. die trostreiche Zusage „Ich will euch wiedersehen"; nach dieser Sichtweise umschließen diese drei „Schalen" den inhaltlichen „Kern" des Werkes, den 4. Satz „Wie lieblich sind deine Wohnungen, Herr Zebaoth" als zentrale Vision der göttlichen Welt.
Es sei nicht unterschlagen, dass es eine zweite architektonische Schicht gibt, nämlich zwei dynamische Steigerungen in den Sätzen 1-3 und 4-6, die im letzten Satz coda-artig ihren Ausklang finden, in den Sätzen 1 und 4 beginnen diese Wellen jeweils choralartig ruhig, ehe sie bis in die Finali der Sätze 3 und 6 zu kunstvollen Fugen geführt werden.
Neben Formsinn und Symmetriebewusstsein fällt auch die Orchestrierungstechnik des reifen Brahms auf, die zwar in unserer Londoner Klavierfassung auch zu erahnen ist, aber erst in der Orchesterfassung vollständig greifbar ist: am Beginn des 1. Satzes lässt er die Farbgebung von dunklen Streichern prägen, Bratschen und Celli sind durch Teilung verdoppelt, die Geigen schweigen den ganzen Satz lang, auch andere helle Instrumente wie Klarinetten und Trompeten werden nicht eingesetzt. Ein erdiger, tastender Gestus prägt diesen Eingang; im Trauermarsch des 2.Satzes werden Violinen und Bratschen dann in hoher Lage mehrfach geteilt, was die Tessitura stark verändert, aber durch die Verwendung des Dämpfers fehlen weiterhin Glanz und Brillanz, auch dieser Satz behält einen schaurig-unwirklichen Charakter; auch wenn er später das volle Orchester verwendet, vermeidet Brahms klangliche Dicke unter anderem dadurch, dass er Motive zwischen Instrumenten und Instrumentengruppen „herumreichen" lässt und längere Melodien zwischen Stimmen aufteilt, etwa im Eingangssatz die Linie „Selig sind, die da Leid tragen" - der Chor-Alt hebt an, der Chor-Tenor setzt fort: „die da Leid tragen".
Der tiefen, warmen Wehmut, die insgesamt eher in unteren dynamischen Bereichen bleibt, in den Sätzen 1, 4 und 7 stehen kontrapunktische Kulminationen am Ende der Sätze 2, 3 und 6 entgegen. im zweiten Satz bricht der Chorausruf „Aber des Herrn Wort bleibet in Ewigkeit" übergangslos in den Trauermarsch ein, so wie zuvor schon der renaissanceartige Zwischenteil „So seid nun geduldig" angehoben hatte ; dann folgt "Allegro non troppo" die Fuge „Die Erlöseten des Herrn“. Im dritten Satz führt eine steigernde Spannung zum Text „Ich harre des Herrn" zur Dominante a des berühmten Orgelpunktes d, der die gesamte Schlussfuge grundiert, eine signifikante Umsetzung der sicheren „Hand Gottes": „Der Gerechten Seelen sind in Gottes Hand". Und am Ende sechsten Satzes finden wir in der Doppelfuge „Herr, du bist würdig" die wohl kraftvollste Stelle des Werkes - man beachte, wie Brahms mit kluger Ökonomie am Ende die Steigerungen „Du bist würdig" immer wieder ins piano und in tiefere Lagen zurücknimmt, ehe er beim letzten Mal alle Kräfte entfesselt.
Gleichwohl - Brahms ist und bleibt bei aller Meisterschaft auch in den extrovertierten Stellen eher ein bedächtiger, introvertierter Charakter. So bleibt bei aller spektakulären Kraft der erwähnten Finali vielleicht der Ausklang des 2. Satzes sein persönlichster Schluss, wenn er die „ewige Freude" des Jenseits über einem Paukenostinato ganz still und erfüllt aussingen und ausklingen lässt.
Prof. Thomas Gropper
Claudio Monteverdi | Marienvesper SV 206
Monika Mauch, SOPRAN 1
Verena Gropper, SOPRAN 2
Robert Sellier, TENOR 1
Christian Rathgeber, TENOR 2
Andreas Burkhart, BARITON
Barockorchester L‘arpa festante auf historischen Instrumenten
Es waren bewegte Zeiten um das Jahr 1600 herum, ein elementarer musikalischer Umbruch vollzog sich. Die bis dahin maßgebende niederländische Musikkultur mit der kunstvollen franko-flämischen Vokalpolyphonie - Palestrina und di Lasso gelten mit ihren Motetten als die hervorragenden Vertreter - wurde abgelöst durch einen neuen aus Italien stammenden Stil, die Monodie. In diesem reich und subtil durch einen Generalbass begleiteten Sologesang waren nun wieder deutliche Textdarstellung und -ausdeutung möglich, nach der Dominanz der kunstvoll geführten polyphonen Linien wurden harmonische Wirkungen wie Dissonanzen und die Führung einer einzelnen Melodiestimme wieder spürbar. Obwohl mitunter auch mehrstimmige Motetten oder Madrigale solistisch ausgeführt worden waren, blieb die Vokalpolyphonie doch eine Ensemble- und Kollektivkunst. Nun gewann rasch der solistische Gesang an Bedeutung, entsprechend wuchs das Interesse an Virtuosität und Charakteristik der Stimmen, die Gesangspädagogik bekam neue dankbare Aufgaben. Formen und Gattungen wie geistliches Konzert, Solokantate oder gerade Oratorium und Oper waren nur in monodischer Stilistik denkbar.
Claudio Monteverdi, Jahrgang 1567, erlebte diesen gleitenden, aber gleichwohl unaufhaltsamen Übergang als ausübender und komponierender Musiker in voller Kraft. Der jungen Gattung Oper, die kurz vor 1600 in Florenz durch den Künstler- und Gelehrtenkreis der „Fiorentiner Camerata" (vom Grafen Bardi durch den notwendigen mäzenatischen Eifer unterstützt) gegründet worden war, schenkte er 1607 mit „Orfeo" das erste Meisterwerk. Einer blutarmen Kopfgeburt von Kunstenthusiasten, die vorgaben, die griechische Tragödie wiederbeleben zu wollen, flößte er dramatisches Feuer und musikalisches Leben ein. Schon im „Orfeo" geht er den Weg, den alten Stil nicht einfach aufzugeben, sondern als „prima prattica" etwa in den Chören der neuen Monodie in den Sologesängen, der „seconda prattica" gegenüberzustellen.
So gewinnt er reiche musikalische Möglichkeiten, vermeidet Einförmigkeit und verbindet die kunstvollen Komplexe des alten Stiles mit den Ausdrucksmöglichkeiten des neuen.
Mantua und Venedig
Bereits 1582 hatte der damals 15 Jahre alte Monteverdi während seiner gründlichen Ausbildung ein erstes gedrucktes Opus, eine geistliche Liedsammlung, vorgelegt, in den folgenden Jahren machte er durch Madrigalbücher weiter von sich reden. 1589 bewarb er sich ohne Erfolg um eine Stelle in Mailand, auch den Posten des Domkapellmeisters hatte er ehrgeizig im Auge, im Jahr darauf ging er dann nach Mantua in die Dienste der Gonzaga-Herzöge, zunächst als Musiker, dann als Kapellmeister. Doch deren Gunst schwankte, auch die Zuverlässigkeit der Honorarzahlung und die Attraktivität der Arbeitsbedingungen waren nicht konstant, 1612 ergab sich der bemerkenswerte Vorgang, dass Monteverdi, mit 45 Jahren ein gereifter Meister und eine der gefragtesten Größen unter den Komponisten Italiens, wegen Sparmaßnahmen und eines ungeklärten Grolls des Dienstherren quasi von einem Tag auf den anderen entlassen wurde und ohne Stellung auf der Straße stand (seinem gleichfalls dort angestellten Bruder ging es genauso). Im Jahr darauf wendete sich alles zum Guten und Monteverdi wurde als Kapellmeister nach San Marco in Venedig berufen.
Noch vor diesem Eklat in Mantua legte Monteverdi 1610 seine „Marienvesper" vor, wohl eine Bewerbungsunterlage für eine Stellung in Rom. Doch auch für die Ernennung in Venedig dürfte dieses ebenso traditionsgestützte wie neuartige Werk wichtig gewesen sein. John Eliot Gardiner vertritt nach Durchsicht einiger Dokumente des Staatsarchivs von Venedig die Auffassung, die „Marienvesper" könnte beim „Probespiel" Monteverdis dort erklungen sein.
Prima prattica und seconda prattica
Zwischen die Psalmvertonungen der „Marienvesper" stellt Monteverdi an die Stelle der traditionell dort gesungenen Antiphonen ein- und mehrstimmige Vokalkonzerte (Motetten), in denen er den neuen Stil entfaltet. In ausgedehnten Koloraturen und mit später nur noch selten genutzten Repetitionstrillern zeigen die Sänger ihre Virtuosität, aber auch ihre Kunst in sinntragender und eindringlicher Deklamation - Höhepunkte sind etwa das „Duo Seraphim" Nr.7, das sich dann zum Terzett weitet, oder das „Audi coelum" Nr.9 mit seinen Echowirkungen, die so ähnlich auch in der großen Soloszene des „Orfeo“ zu Beginn des 5.Akts der Oper zu hören sind. Auf der anderen Seite ist auch die „prima prattica" mit ihrem kontrapunktischen Denken und ihrer Anbindung an Choräle im Cantus firmus zur Meisterschaft gebracht, etwa in den abschließenden Sätzen „Ave maris stella" und besonders dem „Magnificat". Im alten Stil neuartig sind indes die instrumentalen Zwischenspiele, die Ritornelle in den Vertonungen der Psalmen.
Wer erstmals die „Marienvesper" hört und Monteverdis „Orfeo"-Oper kennt, ist nicht wenig verblüfft - die signalhafte Toccata der Oper bildet auch hier als Eröffnungsfanfare, der Hörer wird fast überrumpelt und festlich empfangen. Bis auf die Vertonung des letzten Wortes „Alleluia" deklamiert der Chor den Text im unablässigen Wiederholen des D-Dur-Akkordes über prachtvollen Instrumentalstimmen.
Die Falsobordone-Technik, der akkordische, gemeinsam artikulierte Vortrag des Textes, prägt neben Choralverarbeitungen (etwa im „Virgam virtutis tuae") den Ablauf des an zweiter Stelle stehenden „Dixit Dominus" (Psalm 109). Hier wie durchweg gilt: die Verteilung der Musik auf Soli und Chor ist nicht von Monteverdi festgelegt, auch von der instrumentalen Begleitung her gibt es viel Freiheiten der Besetzung und der Kombination, sowohl in den Oberstimmen wie im Basso continuo. Hier gilt es in jeder Aufführung angesichts der Größe des aufführenden Apparates, der Gegebenheit des Raumes und auch der ökonomischen Rahmenbedingungen eine individuelle Fassung zu erstellen.
Das erste „Concerto" „Nigra sum", das sich anschließt, ist das schlichteste der gesamten „Marienvesper" - einstimmig und als freies Rezitativ gestaltet. Der Leitgedanke, dass Monteverdi Altes und Neues kunstvoll kombiniert und durch Verzicht auf die Preisgabe der Tradition seine künstlerischen Möglichkeiten erweitert, zeigt sich auch in der Psalmvertonung „Laudate pueri" (Psalm 112). In alter Motettentechnik wird ein neuer Textbaustein jeweils von einer Stimme eingeführt, von den anderen imitiert und weitergeführt (hier eingangs „Laudate pueri" vom Tenor 2, „Laudate nomen" von Alt 2 und Tenor 2), dazwischen treten virtuose Koloraturen (wohl für Soli gedacht) über (gut vom tutti ausführbare) Choralstellen - Beispiel : „Excelsus super" der Tenöre zu Choralweise im Sopran 1. Reizvoll dann der Übergang zur beschwingt tänzerischen Stelle „suscitans a terra" im 3/2-Takt.
Im zweiten Concerto „Pulchra es" hören wir - als Steigerung zu „Nigra sum" schon zwei Solostimmen, der rezitativische Grundgestus wird an affektgeladenen Textstellen (beim zärtlichen „amica mea" etwa oder bei „decora" [lieblich] oder bei der erregten Flucht am Ende „avolare") zu bewegten Linien geweitet. Der Psalm 121 „Laetatus sum" fällt durch seine prägende stufenweise schreitende Bassführung auf, mal in flotteren, mal ruhigeren Notenwerten.
Von einzigartiger Wirkung ist das „Duo Seraphim" - zwei Engel stimmen den Gesang von der Heiligkeit Gottes an, in Echowirkungen und Abwechslungen, im Dialog und parallelen Zwiegesang. Als sie auf Gottes Dreifaltigkeit zu sprechen kommen, tritt eine dritte Solostimme hinzu und fügt damit eine weitere Dimension bei.
Obwohl Monteverdi ja zum Zeitpunkt der „Marienvesper" noch nicht in Venedig arbeitete, entfaltet der 8.Satz, das „Nisi Dominus" (Psalm 126) schon die Pracht venezianischer mehrchöriger Kirchenmusik. Um den Cantus firmus als Scharnier gleichermaßen hören wir zwei vierstimmige Chöre, mal nacheinander, mal miteinander.
Von der schon erwähnten Echowirkung mit ihren meditativen Pausen und Übergängen lebt das Concerto „Audi coelum" - da die nachschwingende Echostimme die letzten Worte nicht ganz, sondern teilweise wiederholt, ergeben sich interessante Wortspiele: gleich anfangs singt die Hauptstimme „perfusa gaudio" (etwa „von Freude durchströmt"), das Echor retouniert: „audio" („ich höre"), am Ende wird aus „dulce miseris solamen" im Echo „Amen". Der Chor schließt an, im ausklingenden „Benedicta es, virgo Maria" ist sicher einer der emotionalen Höhepunkte des Werkes zu finden.
Von Schwierigkeitsgrad, Komplexe, Dichte und Tempo her erreicht die Kette der Psalmvertonungen mit Satz 10 „Lauda Jerusalem" (Psalm 147) ihren Höhepunkt - die Tenöre bilden mit dem Choral das Herz des Geschehens, zwei dreistimmige Chöre figurieren darum herum.
Kunstvolles reiches Instrumentalspiel mit rhythmischen und metrischen Feinheiten prägt die „Sonata" über die Weise „Sancta Maria", die einstimmig immer wiederholt in das Geschehen eingeblendet ist.
In sieben Strophen - vom einstimmigen Vortrag der gregorianischen Weise über Generalbaß bis zum achtstimmigen Chorsatz - erklingt als 12.Satz der Hymnus „Ave maris stella", reiche Instrumentalritornelle gliedern und verbinden die Strophen.
Der berühmte Lobgesang Marias, das „Magnificat anima mea" krönt als ausgedehntester Satz den Bau der „Marienvesper", alle Möglichkeiten virtuosen Sologesangs, der Choralbearbeitung, des Instrumentalspiels in den Ritornellen und der Dichte des vielstimmigen Chorgesanges werden nochmals aufgeboten und gesteigert.
Werkgestalt
Auch wenn die „Marienvesper" mittlerweile als Gipfelwerk der Kirchenmusik gleichsam kanonisiert ist, muss klargestellt werden, dass die Gestalt des Werkes nicht so gedacht gewesen sein muss. Möglicherweise handelt es sich um eine freie Zusammenstellung von Psalmvertonungen und solistischen Motetten zur Bewerbung in Rom (in der übrigens auch noch eine Messvertonung enthalten ist), die nicht den Charakter eines geschlossenen Opus beanspruchte. Eine komplette Aufführung durch Monteverdi ist bis heute nicht belegt. Auch hat er den letzten Satz, das „Magnificat", noch in einer weiteren Fassung hinterlassen: für sechs Stimmen und basso continuo, also ohne den instrumentalen Reichtum. Wenn man diese Vertonung wählt, können auch die instrumentalen Ritornelle der anderen Sätze unterbleiben, man hat dann eine kargere und „günstigere" Aufführung. War dieses andere „Magnificat" als Alternative gedacht? War es eine Vorstufe zum heute gebräuchlichen? War es andererseits vielleicht das letztgültige? Dürfen wir uns - wie schon bei der Verteilung mehrstimmiger Passagen auf Soli und Tutti und die Frage der instrumentalen Besetzung - auch hier wieder drei fühlen? Wie auch in Bachs h-moll-Messe und in Mozarts c-moll-Messe oder dessen Requiem bleiben Fragen offen, wie ein zentrales Werk der oratorischen Musik in Aufbau und Zielsetzung zu verstehen ist.
Prof. Thomas Gropper
Münster Mittelzell
Johann Sebastian Bach | Johannes-Passion BWV 245
Verena Gropper, SOPRAN
Andreas Pehl, ALTUS
Georg Poplutz, TENOR
Benedikt Eder, BASS
Barockorchester L‘arpa festante auf historischen Instrumenten
„Es wäre gut, dass ein Mensch würde umbracht für das Volk"
Johann Sebastian Bachs JOHANNES-PASSION
Nicht einmal ein Jahr nach seiner Amtseinführung als Leipziger Thomaskantor erklang am Karfreitag 1724 (das war der 7. April) in der Nikolaikirche erstmals die JOHANNES-PASSION. Bach hatte möglicherweise noch vor der Übersiedlung nach Leipzig in Köthen begonnen, an dem Werk zu arbeiten (andere Forscher glauben an einen Arbeitsbeginn erst 1724), um mit dem ersten größeren Werk seiner Amtszeit ein gewichtiges und aufsehenerregendes Zeichen zu setzen.
Traditionalisten und Fortschrittler
Leipzig war schon zu Bachs Zeit eine kulturelle Metropole, die alte Universität, das blühende Handels- und Messewesen, die zentrale Bedeutung für die deutsche Literatur und Bühnenkunst machten es gewichtiger, als es die Zahl von etwa 16.000 Einwohner damals vermuten ließ. Gottsched, Lessing hatten hier gewirkt, Goethe hatte hier ab 1765 studiert, zahlreiche Verlage waren hier ansässig. Als Gegengewicht zum sächsischen Hof, der in Dresden residierte und katholisch war, verstand man sich in Leipzig als protestantisches Gegengewicht und bürgerliche Hochburg - das wachsende Selbstverständnis des Bürgertums zeigte sich in vielen neuen barocken, prächtigen Wohn- und Geschäftshäusern.
Das zentrale kirchenmusikalische Amt, das Leipzig zu vergeben hatte, das Thomaskantorat, war entsprechend repräsentativ und traditionsreich - Johann Hermann Schein oder Johann Kuhnau hatten es innegehabt und bedeutend ausgefüllt. In der Hierarchie der nicht minder altehrwürdigen Thomasschule stand der Thomaskantor an dritter Stelle hinter Rektor und Konrektor, was möglicherweise unspektakulär klingt, aber damals eine außergewöhnlich hochgestellte Position für einen Musiker war. Nach den Vorstellungen konservativerer kirchlicher Kreise sollte der Thomaskantor eine künstlerisch hochwertige, gleichwohl dienende und keinesfalls irgendwie „opernhafte" Kirchenmusik mit allzu viel Ohrenkitzel anbieten und im Gottesdienst vor allem Motetten des 16. und 17.Jahrhunderts aufführen.
Der Rat der Stadt Leipzig hatte am 9. April 1723 (fast auf den Tag genau ein Jahr vor der ersten Aufführung der JOHANNES-PASSION) über die Bewerberliste für das Kantorat konferiert. Bach stand an erster Stelle, war aber nicht der Wunschkandidat - Telemann hatte abgesagt, da er gerade als Hamburger Musikdirektor eine Erhöhung seiner Bezüge erreicht hatte, Johann Friedrich Fasch erhielt keine Freigabe aus seinem Dienst in Zerbst, Christoph Graupner konnte oder wollte sich in Darmstadt nicht loseisen. Alle drei waren Leipziger und wären dem Rat lieber gewesen, so notierte Appellationsrat Abraham Christoph Platz wenig euphorisch, „da man nun die besten nicht bekommen könne, müsste man mittlere nehmen". Bei oberflächlicher Betrachtung gilt Bachs Zeit als Thomaskantor bis heute als Idealfall eines Gleichklangs von Künstler und zu erfüllender Aufgabe - doch trotz aller unsterblichen Musik, die Bach in jener Zeit im Rahmen seiner Amtspflichten schuf, sagte er noch 1730, er würde das Kantorat lieber heute als morgen aufgeben, „ob es mir zwar anfänglich gar nicht anständig sein wollte, aus einem Capellmeister ein Cantor zu werden".
Dieses Selbstverständnis als Kapellmeister, als universaler Musiker, dessen Fähigkeiten, Interessen und Kraft nicht an den Grenzen der Kirchenmusik enden, der auf der Höhe des Stils der Zeit arbeiten und komponieren will, weist auf eine zweite Seite des Thomaskantors Bach - und der Stadt Leipzig: von 1683 bis 1720 hatte es ein Opernhaus dort gegeben, das während der drei Messezeiten im Jahr spielte und dabei auch auswärtige, sozusagen weltläufige Besucher lockte, als Orchester wirkte dort ein Ensemble aus jungen Universitätsstudenten, geleitet von Telemann, der gerade etwas über 20 Jahre alt war. Als Telemann 1704 Musikdirektor der Neukirche wurde, etablierte er dort neuere Kirchenmusik im italienischen Opern- und Konzertstil. Hier hörte man auch 1717 erstmals in Leipzig eine oratorische Passion, Bachs Vorgänger Kuhnau wetterte dagegen, das sei „wildes Opernwesen", wer solches schätze, habe „keine Ahnung von dem wahren Kirchenstylo, wozu ein gar sonderliches und langes Studium gehöret". Doch das aufstrebende Bürgertum wollte genau das: Musik sollte ein sinnlicher Genuss sein, autonome Kunst, nicht nur in kirchlichen und liturgischen Bindungen eingehegt. Pracht und internationaler Standard statt purer Gesinnungsmusik schwebten ihm vor. Und Bach kannte offenbar diese beiden Frontlinien - als er am 7. Februar 1723 (am Sonntag Estomihi) in der Thomaskirche seine Kantoratsprobe absolvierte, brachte er zwei Kantaten zu Gehör: vor der Predigt „Jesus nahm zu sich die Zwölfe" (BWV 2), eine traditionell gearbeitete Sonntagskantate, nach der Predigt „Du wahrer Mensch und Davids Sohn" (BWV 23), harmonisch, formal und satztechnisch deutlich „neutönerischer". Bach nutzte die Möglichkeiten, die zuletzt arge geistige Enge des Hofes in Köthen zu überwinden und in Leipzig künstlerisch rege Stadtluft zu schnuppern, erst durch die Unterstützung bürgerlicher Kreise in Leipzig wurde es möglich, die Pflege anspruchsvoller Kirchenmusik mit ambitionierter kompositorischer Tätigkeit auf Höhe der Zeit zu verbinden. Die JOHANNES-PASSION wird das erste großdimensionierte Dokument dieser Synthese aus kirchlichen Wurzeln und bedeutender Konzertmusik.
Neue Wege im Oratorium
Schon in seiner Kantatenproduktion für die Sonn- und Feiertage wird das greifbar: ausgehend von der früheren Form der madrigalischen Kantate mit eher schlichten, ariosen Soli hebt er den virtuosen Anspruch in den Arien und Chören immer mehr an, was sozusagen die autonom musikalische Seite aufwertet, andererseits bleibt über den Choral und die enge Anlehnung an das biblische Wort gerade auch im Rezitativ der kirchliche Bezug immer gesichert - eine gleichermaßen theologische wie künstlerische Herausforderung für den Christen und Musikus Bach.
Mit seiner JOHANNES-PASSION, aber auch den später entstandenen Passionsmusiken weitet Bach die alte Form der responsorialen Passion, am bekanntesten für uns heutige Hörer bei Heinrich Schütz zu finden, zur oratorischen Passion. Schütz hielt am unbegleiteten Singen fest, entwickelte den rezitativischen Evangelistenbericht noch stark an der aus der Gregorianik weitergetragenen Praxis des Rezitationstones mit bestimmten Klauseln und Wendungen, so dass er heute recht archaisch klingt, und ließ außer Anfangs- und Schlusschor keine Texte und Einschübe zum Evangelium hinzutreten.
Bach erwies mit seiner Mischung aus Bewahrung und Neuerung ein sicheres Gespür - einerseits blieb er im Evangelistenbericht am originalen Wortlaut der Lutherübersetzung der Bibel (Im Gegensatz zu anderen Komponisten der Epoche, die ihn zeitgemäß neuformulieren lassen und deshalb pikanterweise heute umso veralteter klingen) und baute immer wieder bekannte tradierte Choräle u.a. von Paul Gerhardt ein. Auf der anderen Seite bringt er lyrisch-meditative Einschübe durch Ariosi und Arien, die Texte geistlicher Dichter der Bach-Zeit verarbeiten, etwa von Barthold Heinrich Brockes oder von Bachs Freund und Weggefährten Picander. Die Ariosi gewinnen dabei immer mehr an Ausdrucksfülle oder erregter Kraft (in der Johannes-Passion etwa das introvertierte Bass-Arioso „Betrachte, meine Seel" oder das aufseufzende Tenor-Arioso „Mein Herz"), die Arien spiegeln immer ausgedehnter und virtuoser das verhandelte Bibelgeschehen im Bewusstsein eines betrachtenden Individuums. Dieses betrachtende Element dosiert Bach im Verlauf seiner Passionsproduktion immer höher - nach 11 Chorälen in der JOHANNES-PASSION finden wir in der 1729 uraufgeführten MATTHÄUS-PASSION schon 13 (in der rekonstruierten MARKUS-PASSION von 1731 gar 18), nach 8 Arien und 2 Ariosi in der JOHANNES-PASSION hören wir in der MATTHÄUS-PASSION nicht weniger als 15 Arien und 12 ariose Rezitative oder Ariosi.
Passio secundum Johannem
Bach legte seiner ersten großen Passionsmusik die Kapitel 18 und 19 des Johannesevangeliums in der Übersetzung durch Martin Luther zugrunde. Dass Bach dabei trotz aller theologischen Ernsthaftigkeit primär auch theatralisch dachte, beweist die Tatsache, dass er an zwei sehr affektgeladenen Stellen - dem Weinen des Petrus nach der Verleugnung und dem Zerreißen des Vorhanges im Tempel nach dem Kreuzestod - Anleihen im Matthäusevangelium macht (26, 75 bzw. 27, 51-52) und diese zu den (neben der Schilderung der Geißelung) extrovertiertesten Evangelistenpassagen des Werkes nutzt. Für die zum Evangelium hinzutretenden Texte für Eingangs- und Schlusschor, Arien und Ariosi greift er als literarische Quellen zu Christian Heinrich Postels "Johannes-Passion" (Hamburg 1695), Christian Weises „Der weinende Petrus" (Leipzig 1675) und vor allem zu „Der für die Sünde der Welt gemarterte und sterbende Jesus" (Hamburg 1713) von Barthold Heinrich Brockes. Nicht nur der Bachforscher Martin Geck nimmt darüber hinaus an, dass Carl Friedrich Henrici, unter seinem Pseudonym Picander Textdichter zahlreicher Kantaten und auch der MATTHÄUS-PASSION, ebenfalls Texte lieferte. Dazu kommen als weitere Säule die Choräle, Harmonisierungen bekannter Kirchenliedstrophen von Martin Luther, Paul Gerhardt, Johann Heermann, Paul Stockmann, Michael Weiße, Valerius Herberger und Martin Schalling. So entstehen textlich mehrere Schichten: Der Passionsbericht, verfasst etwa 100 n.Chr., die Übersetzung vom Beginn des 16.Jahrhunderts, Kirchenlieder des 17. und frühen 18.Jahrhunderts - und die zeitgenössische geistliche Dichtung.
Souverän und musikalisch ergreifend fasst Bach die Eigenart des johanneischen Passionsberichtes, die relative Armut an äußerem Geschehen, die Herbheit und Gedrücktheit von Tonfall und Situation und die Konzentration auf wenige Schauplätze: Gefangennahme im Garten Gethsemane - Verleugnung des Petrus - Verhör und Auseinandersetzung mit Pilatus - Kreuzigung und Tod. Die Schilderung des Abendmahles fehlt, die menschlichen Worte des Zweifelns, Klagens und Zagens (siehe Matthäus) suchen wir vergeblich, die Details des Kreuzweges bleiben ausgespart.
Zur zentralen Szene wird das Gericht vor Pilatus, wo die ganz und gar göttliche, erhabene Pointierung der Jesusgestalt deutlich hervortritt - Klarheit und Strenge statt menschlicher Gefühle. Dieser Jesus zweifelt nicht, er erfüllt den Heilsplan - so wird er von Bach auch nicht mit dem in der MATTHÄUSPASSION so suggestiven Streichersatz „eingehüllt". Wir haben es also im Vergleich mit der MATTHÄUSPASSION mit einer viel knapperen und dramatischeren Handlung zu tun, weniger Arien unterbrechen den Ablauf, in der Pilatusszene, dem zweiten Drittel des Stückes, ist es gar nur eine (Nr.24 Bassarie „Eilt, ihr angefochtnen Seelen"), die zudem das Tempo hochhält - nur zwei Choräle wirken als Ruhepunkte. Bei Matthäus sind wir demgegenüber eingeladen, uns mit frommem Gemüt in die Leidensgeschichte zu versenken, uns zu identifizieren, ständig einzelne Stationen zu meditieren.
ABLAUF: Der erste Teil - Gefangennahme und Verleugnung
Das Werk beginnt mit dem großen Eingangschor „Herr, unser Herrscher" in g-Moll, der gewaltige Anfang lässt schon die neuartigen Dimensionen erkennen. Das klangliche Geschehen zeigt deutlich mehrere Schichten: ruhige, gleichmäßige Achtel im Continuo schaffen ein sicheres Fundament, hin- und herschwingende Sechzehntelbewegungen der Streicher und hart schneidende Dissonanzen in Flöten und Oboen türmen sich darüber auf ; viele Hörer erkennen hierin eine klingende Darstellung der Trinität - Gottvater als souveräner Urgrund, der leidende Jesus in den klagenden Holzbläsern, die schwebende Taube, das Symbol des Heiligen Geistes, in den „flatternden" Streichern. Im zweiten Abschnitt des A-Teiles ändert sich der Satz, die Streicher tupfen Achtelnoten hin, die Sechzehntelbewegung wandert in die Instrumentalbässe, ein markanter Oktavsprung der fugiert einsetzenden Chorstimmen bittet: „Zeig uns durch deine Passion, daß du, der wahre Gottessohn, zu aller Zeit, selbst in der größten Niedrigkeit, verherrlicht worden bist!" - dieser Choreinsatz wird manchmal anschaulich als „Zeigefinger" beschrieben. Anschaulich zieht sich der Satz bei der „größten Niedrigkeit" ins piano und in tiefe Lagen zurück, ehe er sich bei „verherrlicht" in Lage und Dynamik wieder aufschwingt.
„Jesus ging mit seinen Jüngern über den Bach Kidron" - so hebt der hohe Tenor des Evangelisten an, der in generalbassbegleitetem freiem Sprechgesang, unabhängig vom gregorianischen Lektionston, stark aus Wort- und Satzmelodie sowie dem Sprachrhythmus heraus gestaltet, das Bibelwort vorträgt und dabei häufig sehr kühne und modern wirkende Tonfolgen durchmisst, geprägt von scharfen Modulationen und markanten Sprüngen (ein Beispiel wäre das Abschlagen des Ohres von Malchus). Die Jesusworte sind einem tieferen Bass anvertraut, die Pilatusworte später einem etwas höheren Bass (das wird heute in der Regel vom Arienbass mit übernommen), die Türhüterin (Sopran), zwei Knechte (Tenor) und Petrus (Bass) sind weitere kleine Rollen (Sololiquenten genannt). Der Bericht steigt bei der Gefangennahme im Garten Gethsemane ein, Judas hat die „Schar und der Hohenpriester und Pharisäer Diener", die mit „Fackeln, Lampen und Waffen" ausgerüstet sind, zu Jesus geführt. Zweimal fragt Jesus: „Wen suchet ihr?", zweimal ruft die Menge: „Jesum von Nazareth!" Jesus, der eigentlich ängstlich oder bedrängt sein könnte/müsste, wird souverän und ruhig gezeigt - er weiß „alles, was ihm begegnen sollte".
Der Choral „O große Lieb" bestaunt die innere Opferbereitschaft, der Choral „Dein Will gescheh" die Einsicht in den göttlichen Plan. Ein Detail, das Jesu Aura zeigt: allein seine Bestätigung „Ich bins!" lässt die Angreifer zurückweichen und zu Boden purzeln.
Auch in den Chorälen, die ja Aussetzungen bekannter Kirchenlieder sind, zeigt sich im Detail Bachs Drang zu plastischer Textdarstellung - in der Melodielinie kann er eher wenig machen, höchstens wie im Wort „Marterstraße" die Weise durch Chromatik verschärfen. Aber in den Unterstimmen greift er voll zu : man beachte den seufzenden Ausruf im Tenor bei „Marterstraße", die Chromatik des abwärtsführenden Basses an gleicher Stelle, die schwungvollen Achtel und Sechzehntel im Alt bei „Lust und Freuden" oder den schmerzhaften Tritonusschritt abwärts im Bass bei „UND DU mußt leiden". Worte wie „leiden", „Leidenszeit", „weinet" werden grundsätzlich harmonisch aufgeraut, gerne im verminderten Septakkord.
Die ersten Arien erklingen: die Altistin stellt sich vor mit „Von den Stricken" - zwischen den dissonanten und „verschlungenen" beiden Oboen beklagt sie, dass Jesus sich binden lassen muss, um den sündigen Menschen von seinen Sünden zu „entbinden". Die Sopranistin nimmt das kurze Bibelwort „Simon Petrus aber folgete Jesu nach und ein andrer Jünger" auf, um im Dialog mit der Flöte zu versichern: „Ich folge Dir gleichfalls mit freudigen Schritten" - mal läuft sie der Flöte nach, dann andersherum. Anschauliche aufwärts „drängende" Halbtonschritte versinnlichen den Text: „Höre nicht auf, selbst an mir zu ziehen, zu schieben, zu bitten."
Nachdem Petrus Jesus erstmals verleugnet hat, wird Jesus vom Hohenpriester „um seine Jünger und um seine Lehre" befragt. Wie später vor Pilatus unternimmt er keinerlei Versuche sich zu rechtfertigen, Gnade zu erwirken oder Erklärungen abzugeben, direkt ruppig fordert er sein Gegenüber auf, doch mit denen zu sprechen, die ihn angehört haben – „dieselbigen wissen, was ich gesaget habe!" Auch als er daraufhin vom Knecht des Hohenpriester wegen dieses unbotmäßigen Verhaltens einen wütenden Schlag erhält, bleibt er unbeeindruckt und innerlich groß. Diese Haltung sticht scharf gegen die gleich folgende zweite Verleugnung durch Petrus ab, der daraufhin - wieder allein - bitterlich weint. Die Tenorarie „Ach mein Sinn" ist quasi eine Selbstaussprache des Petrus. Ein Choral beschließt den ersten Teil der JOHANNES-PASSION.
Der zweite Teil - Die Auseinandersetzung mit Pilatus
Die Menge schleppt Jesus vor das „Richthaus", um ihn vom römischen Statthalter Pontius Pilatus aburteilen zu lassen und das Einverständnis zur Kreuzigung zu erhalten. Diese Szene wird zur zentralen der JOHANNES-PASSION, die fanatisierte und tobende Menge der Juden, der Pharisäer und Schriftgelehrten wird zur unkontrollierbaren Gegenkraft des Pilatus und zum dritten Mitspieler dieser Auseinandersetzung. Alles beginnt recht offiziell - Pilatus fragt, was die Juden gegen „diesen Menschen" vorzubringen hätten, diese reagieren gereizt: „Wäre dieser nicht ein Übeltäter, wir hätten ihn dir nicht überantwortet!" Pilatus, möglicherweise erstaunt über diese Heftigkeit, möchte den Juden die Angelegenheit übergeben, doch diese ihn nicht abgehen: „Wir dürfen niemand töten." Die „Turbachöre" (= Chorsätze der Bibelworte, in denen eine Gruppe oder Menge spricht) sind von großer Drastik und Schärfe durch markante Motive, die imitiert werden, chromatische auf- und absteigende Skalen sowie dissonante Intervalle und Akkorde. - Nun muss sich Pilatus des Falles wohl oder übel annehmen, er versucht zunächst herauszufinden, mit wem er es zu tun hat, doch auf seine Fragen antwortet Jesus einsilbig, abweisend, philosophisch abschweifend - oder gar nicht. Pilatus muss das verstören: ein Gefangener bittet für gewöhnlich um Gnade, zeigt sich verzweifelt und angstvoll oder verliert den Verstand, dieser hier nimmt nicht einmal das Gespräch mit ihm auf. Als Pilatus wissen will, ob er „der Juden König" sei, versteigt sich Jesus zu religiösen Aussagen über die „Wahrheit" - eigentlich spricht er nicht mit dem auf der Szene präsenten Pilatus, sondern quasi durch die Szene mit dem christlichen Leser oder Hörer. Pilatus hat einen Einfall: gemäß einem alten Brauch gibt er einen jüdischen Gefangenen frei, er stellt Jesus und Barrabas („ein Mörder") zur Wahl. Es geschieht, was der Statthalter wohl für unmöglich hält und ihm die Macht der entgegenschlagenden Wut aufzeigt: die Menge will Barrabas. Pilatus gibt Jesus der Geißelung preis.
In zwei Solonummern wird dieses Schmerzensbild reflektiert und in barocken Sprachbildern eingefangen - das Bass-Arioso „Betrachte, meine Seel" meditiert den gemarterten Jesus und möchte „Himmelsschlüsselblumen" aus den Dornen wachsen lassen, die Tenorarie „Erwäge" sieht im „blutgefärbten Rücken" den "allerschönsten Regenbogen als Gottes Gnadenzeichen" stehen.
Das Ringen um Jesu Schicksal geht weiter, die Kriegsknechte flechten die Dornenkrone für Jesus und verspotten ihn hämisch, wie der tänzerische Chor „Sei gegrüßet, lieber Judenkönig" darstellt, in dem Flöten und Oboen in Sechzehntelläufen kichern und feixen. Als Pilatus sich wiederholt für den Angeklagten verwenden will, brüllt ihm der entfesselte Mob die Forderung „Kreuzige ihn!" entgegen und verweist auf das jüdische Gesetz - dieses Gesetzesfixierung bildet Bach durch die Verwendung einer strengen Fuge ab. Pilatus gibt noch immer nicht nach, sondern versucht ein weiteres Mal, etwas aus Jesus herauszufragen, doch der antwortet erst gar nicht, dann mit Worten, die Pilatus nicht verstehen kann. Ein retardierender Choral steht vor der nächsten Stufe der Eskalation: die Menge droht Pilatus damit, er verspiele das Wohlwollen des Kaisers, sozusagen seines „Chefs", wenn er Jesus freigebe – „denn wer sich zum Könige machet, der ist wider den Kaiser". Pilatus besteigt den Richtstuhl und interveniert ein letztes Mal, doch erneut wird die Kreuzigung gefordert – „da überantwortete er ihn". Pilatus hat verloren, ein kleiner trotziger Sieg bleibt ihm, als er die Kreuzüberschrift „Jesus von Nazareth, der Juden König" ungeachtet der Beschwerden der Juden nicht ändert: „Was ich geschrieben habe, das habe ich geschrieben!" Der Choral „In meines Herzens Grunde" schließt sie Szene ab.
Der dritte Teil - Tod Jesu
Die Tragik der Kreuzigungssituation wird zunächst grotesk aufgebrochen durch die geifernde Habgierigkeit der Kriegsknechte, die Jesu Kleider teilen, aber um den Rock losen müssen, weil er sich nicht teilen lässt; der hohle, fast wie ein Schlager mit fetzigen Synkopen klingende Chor „Lasset uns den nicht zerteilen" ist klingendes Abbild ihrer Oberflächlichkeit, anschaulich kann man die Würfel rollen hören durch die Koloratur auf dem Wort „losen". Banales C-Dur und ein Schluss in fast überschnappender Homophonie charakterisieren diesen Satz. In scharfem Kontrast dazu steht Jesu Besorgnis um seine Mutter - er regelt seine letzten Dinge, indem er Maria und „den Jünger, den er lieb hatte", aufeinander bezieht. Das letzte Jesuswort „Es ist vollbracht!", eine im Sextraum stufenweise abführende Linie, klingt wie ein bekräftigendes letztes Wort, zugleich wie ein Ersterben - die folgende Altarie nimmt die Tonfolge auf und gewinnt daraus tiefinnerlich „Trost für die gekränkten Seelen". Doch in genialer Umsetzung der johanneischen Theologie geht dieser ruhige Gesang in einen triumphierenden B-Teil über: "Der Held aus Juda siegt mit Macht und schließt den Kampf!", mit einer barocken Herrschaftsgeste im Orchester unterlegt. Jesus ist noch nicht tot (erst im folgenden Rezitativ verscheidet er), aber er wird schon zum Sieger erklärt.
Das Neigen des Hauptes, das den endgültigen Tod markiert, nimmt der Bass in der ergreifenden Arie „Mein teurer Heiland" bei seiner persönlichen Befragung des gestorbenen Heilandes als zustimmendes „Ja" auf seine bangen Fragen: „Bin ich vom Sterben freigemacht? Kann ich (...) das Himmelreich ererben? Ist aller Welt Erlösung da?" Der Chor grundiert das Gebet mit dem zart gesungenen Choral „Jesu, der du warest tot, lebest nun ohn Ende".
Das Zerreißen des Tempelvorganges und das Erdbeben - wie gesagt textlich von Matthäus entliehen - bilden noch einmal einen szenischen und musikalischen Akzent, ehe die Sopranarie sich in körperlos hoher Lage und von lichten Flöten begleitet der Trauer zuwendet: „Zerfließe, mein Herze". Die Fixierung auf den Gedanken, dass Jesus tot ist, macht Bach formal bestechend deutlich: nachdem das Orchestervorspiel des A-Teils wieder beginnt und die Reprise signalisiert, greift die Sängerin nochmals den alten Gedanken auf („Dein Jesus ist tot!") und wiederholt ihn inbrünstig, hält sozusagen den Gang der Arie auf, dann erst kann das Da capo wirklich einsetzen.
Der Schlussteil der Passion kann beginnen, zwei längere Rezitative und ein Choral („O hilf, Christe, Gottes Sohn") führen zum ergreifenden Schlusschor „Ruht wohl, ihr heiligen Gebeine", ein ruhiger und durch den Dreiertakt doch innerlich bewegter Grabgesang für Jesus. Während die Eckchöre der MATTHÄUSPASSION zu Trauer und Klagen auffordern („Kommt, ihr Töchter, helft mir klagen" bzw. „Wir setzen uns mit Tränen nieder"), will der Schluss der JOHANNES-PASSION andere Gedanken vermitteln („ihr heiligen Gebeine, die ich nun weiter NICHT beweine"). Zweimal singt der Chor, dass der Tod nunmehr den Himmel aufmacht und die Hölle zuschließe, beim zweiten Mal spart er die Baßstimme aus und erreicht damit einen noch helleren und erdenferneren Klang. Doch dieser Chor ist noch nicht Bachs letztes Wort - er schließt noch einen Choral an („Ach Herr, laß dein lieb Engelein"). Beginnend mit hoch liegenden Stimmen und einem zarten Gebet in kindlich-naiver Sprache steigert sich dieser Choral zu visionär-begeisterter Freude auf die Erweckung vom Tod und das Himmelreich.
Prof. Thomas Gropper
Liebe Konzertbesucher, liebe Freunde der Birnau und der „Geistlichen Musik Birnau“
Wie es guter Brauch ist, freuen wir uns auf vier Konzerte im geistlich, atmosphärisch und klanglich erhebenden Raum der Birnau und ein Konzert anderen Orts, dieses Mal wieder im Münster Reichenau. Vor allen Konzerten bieten wir Ihnen die mittlerweile etablierte Konzerteinführung an, eine Stunde vor Konzertbeginn, 30 Minuten lang, ohne Extrakosten - eine Möglichkeit, sich Gehalt und Gestalt der Werke anzunähern. Den Beginn macht Bachs "Johannes-Passion" in der Passionszeit auf der Reichenau, es folgt in der Birnau Monteverdis prachtvolle "Marienvesper" am ersten Mai-Sonntag (zum ersten Mal für die Kantorei!). Ende Juni gestalten wir mit dem Kammerchor Chur gemeinsam ein Brahms-Konzert, der Chor aus Graubünden steuert das Requiem in der Londoner Fassung bei, wir a cappella-Chormusik. Ende Juli versprechen Haydns "Theresienmesse" und seine "Abschieds-Symphonie" ein lebendiges Sommerkonzert. Und Verdis monumentale "Messa da Requiem" - auch eine Premiere für den Chor - schließt den Kreis Anfang Oktober.
Die Konzerte mit den oratorischen Werken des Barock und der Klassik gestalten wir traditionell mit einem Originalklang-Ensemble, 2019 mit "L‘arpa festante", die romantischen Großwerke (Verdi) mit der Südwestdeutschen Philharmonie Konstanz. Kulturelles Engagement braucht starke Stützen und Partner. Unsere Stütze sind Sie, unser treues Publikum, das uns mit dem Besuch und dem Applaus trägt. In Zeiten knapper Kassen und schwindender Zuschüsse ist das die Lebensader. Gerne möchte ich Sie auf die Möglichkeit des Abonnements hinweisen (oft sind unsere Konzerte gottlob voll...) und auf die Möglichkeit, durch einmalige oder regelmäßige Spende unsere Arbeit zu unterstützen. Unsere Stütze sind unsere Sponsoren und Unterstützer, die uns nachdrücklich helfen. Unsere Stütze ist das Priorat der Birnau, mit dem wir vertrauensvoll und herzlich zusammen arbeiten können. Und unsere Stütze - die wichtigste von allen - ist mein Chor. Unsere Sängerinnen und Sänger, die sich engagiert, hochklassig und diszipliniert der gemeinsamen Probenarbeit verschreiben, sind die Seele der "Geistlichen Musik Birnau".
Ich freue mich auf unsere musikalischen Erlebnisse im Jahr 2019 und lade Sie herzlich ein.
Prof. Thomas Gropper
und bei sämtlichen Reservix-Vorverkaufsstellen [114 KB] .
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© Birnauer Kantorei e.V.
"Geistliche Musik Birnau"
Gegründet 1966
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